11. September

Internationales Freundschaftsfest Alsfeld am 11.9.2021

An diesem 11. September wird in Alsfeld im Klostergarten ein Internationales Freundschaftsfest gefeiert und der Opfer der  Anschläge auf das World Trade Center in New York vor 20 Jahren gedacht. Im Vorfeld hatte das Organisationsteam darum gebeten, Erinnerungen an diesen Tag („zum Beispiel: „Wo war ich zum Zeitpunkt des Anschlags, wie habe ich davon erfahren, was waren meine Gefühle und Gedanken …“) aufzuschreiben und einzureichen, aber auch heutige Empfindungen. Mein Text „Während ich schlief“ ist als Beitrag dazu entstanden. Ausnahmsweise übersetze ich ihn nicht sofort, weil mir im Moment die Zeit dafür fehlt. Aber ich werde ihn noch übersetzen. Und auch die Texte von Elizabeth und Yale, die ich gefragt hatte. Nancy (siehe Fotos) hat ihren Text selbst übersetzt und sogar ein Video aufgenommen. Die Texte stehen im Dokument.

Memorial in NY
Memorial in NY

 

 

 

 

 

On this 11th of September, there will be a celebration of international friendship in the cloister garden in Alsfeld. The victims of the attacks on the WTC in New York will be remembered. The team that organises the event had asked in advance to write down and share not only our  memories of this day (Where had we been during the attack, how did we learn of it, what had been our feelings and thoughs), but also our feelings today. „While I was sleeping“ is what I have written for this purpose. As an exception, I will not translate it right away, as I have little time at the moment. But I will translate it later. As well as the memories of Elizabeth and Yale whom I had asked. Nancy (see photos) has translated her memories herself and even made a video. Carolyn (Schott) has put her memories in her blog. See the document:

Remembering September 11

Während ich schlief

Als die Flugzeuge, die niemals landen sollten, Kurs auf Manhattan nahmen, war ich kurz eingenickt. Es war ein Dienstag, ein grauer Nachmittag im September, mein Urlaub hatte gerade begonnen. Während ich auf dem Sofa schlief, bohrte sich sechs Stunden weiter westlich ein Passagierflugzeug in einen der Zwillingstürme des World Trade Centers, krachte kurz darauf ein zweites Flugzeug mit 870 Kilometern die Stunde in den zweiten Turm, wobei ein Teil des Kerosins sofort explodierte. Der Rest der brennbaren Flüssigkeit lief ins Gebäude, in die Treppenhäuser, Fahrstuhlschächte und Büros und entzündete sich. Während ich schlief, stürzten die Twin Towers langsam in sich zusammen, mit allen, die nicht schnell genug fliehen konnten. 300 Feuerwehrleute starben bei dem Versuch, wenigstens ein paar von ihnen zu retten. Verzweifelte sprangen aus den oberen Stockwerken in die Tiefe, um nicht zu verbrennen oder zu ersticken.

Während ich schlief, wälzte sich eine Staubwolke durch die Straßen des Finanzdistrikts, stürzten Trümmer auf benachbarte Gebäude, regneten Papierschnipsel, Leichenteile und Asche wie Schnee auf die Stadt, traf ein Passagierflugzeug das Pentagon, versuchten Passagiere eines vierten Fliegers, ihre Entführer zu überwältigen. Es war das Radio, das mich aus meinen Träumen riss. Aufgeregte Stimmen, eigenartige Geräusche. Nachrichten, die nicht klangen, wie sich Nachrichten sonst anhören. Noch bevor ich die Worte verstand, dämmerte mir, dass irgendwo auf dieser Welt etwas Furchtbares passiert sein musste. Das war kein Hörspiel. Das war kein Scherz. Das war kein Irrtum. Das war echt. Hatten wir Krieg? Von Flugzeugen war die Rede, von New York, von Terror, Tausenden von Toten. Ich schaltete den Computer ein und las, was ich finden konnte, las und las und las, und das Radio lief weiter. Einen Fernseher hatte ich nicht, und ich mied an diesem Tag auch die Videos im Netz. Die stürzenden Türme… ich wollte sie nicht live sehen. Schon bald sollten diese Bilder in Endschlosschleife laufen.

Drei Jahre zuvor waren wir auf einer USA-Reise im World Trade Center gewesen, wenn auch nicht im Restaurant „Windows of the World“ im Nordturm, aus dem der Toningenieur Jonathan Riley (43) an jenem 11. September aus dem 106. oder 107. Stock in die Tiefe gesprungen sein soll. Das Foto „Falling Man“ wurde schon bald nicht mehr gezeigt, weil es der journalistischen Ethik widerspricht, Menschen beim Sterben zu zeigen, aber andere Bilder haben sich ins Gedächtnis gebrannt, Schemen des Grauens wie die Abdrücke der Toten von Pompeji. Um neun Uhr morgens dürften keine Touristen auf den Aufsichtsplattformen gewesen sein, denn für sie war das Gebäude erst ab halb zehn geöffnet. Trotzdem musste ich daran denken, wie wir auf dem Weg zum Aufzug für den Hausfotografen posiert hatten, und fragte mich, wem wir damals begegnet waren. „Have a nice day“, sagten sie alle. „Have a nice day.“ Keiner, der am 11. September 2001 dort oben Dienst hatte, hat überlebt.

Schon bald hielt ich es zu Hause nicht mehr aus und ging in einen Supermarkt, nur um unter Menschen zu sein. Alle hatten die Nachrichten gehört, die Bilder gesehen, und waren wie gelähmt. Bis der Punk hinter mir in der Kassenschlange sagte, das geschehe den Amis recht. Jetzt hätten sie mal gesehen, was dabei rauskommt, wenn sie überall in der Welt Krieg führen. Von einem Moment zum anderen schlug die Stimmung um. Aus Fassungslosigkeit und Trauer wurde Zorn. Wie zynisch kann ein Mensch sein?

Ich erinnere mich nicht daran, was ich zu ihm gesagt habe. Als ich später die feiernden al-Quaida-Anhänger auf Fotos sah, Erwachsene, Jugendliche und Kinder, die den Tod Tausender anderer Menschen bejubelten, von Menschen, die sie nicht gekannt hatten und über die sie nichts wissen wollten, musste ich an den Punk denken. Und hoffte, ich hatte die richtigen Worte gefunden.

Die Täter haben mich nicht weiter interessiert. Natürlich habe ich mich gefragt, wie ein Mensch dazu kommt, so etwas zu tun. Schließlich waren diese Terroristen keine Männer, die nur eine Koranschule von innen gesehen hatten und entsprechend leicht zu manipulieren waren. Und ich habe mich darüber gewundert, dass die Pläne der Attentäter unentdeckt geblieben waren, trotz der technischen Möglichkeiten, die die US-Geheimdienste nutzten, um uns alle zu überwachen. Aber ich wollte mir weder die Namen noch die Gesichter der Mörder merken. Und ich glaubte nicht an die Verschwörungstheorien, die schon bald kursierten.

Was mich bewegte, war die Frage, ob es einen weiteren Krieg geben würde und wie sich diese Attentate auf das Zusammenleben der Menschen unterschiedlicher Religionen auswirkten. Zu unserem Freundeskreis hatten während des Studiums auch Elektrotechnikstudenten aus muslimischen Ländern gehört, aus der Westsahara vor allem, aber auch aus dem Libanon und der Türkei. Mussten sie sich jetzt an der Arbeit Sprüche anhören? Wurden sie längst vom Verfassungsschutz überwacht? Gingen Leute am Flughafen oder im Zug auf Abstand, weil sie fürchteten, einen Selbstmordattentäter vor sich zu haben, einen Schläfer, der von seiner Terrororganisation geweckt worden war? Die Stimmung war danach. Auch in Deutschland.

In Gedanken war ich vor allem bei den Angehörigen der Opfer. Bei all den Ehemännern, Eltern und Freundinnen, die Steckbriefe an Zäune und Wände hängten, in der verzweifelten Hoffnung, einen Menschen, der morgens das Haus verlassen hatte, um im World Trade Center oder seiner Umgebung zu arbeiten, trotz allem noch lebend wiederzusehen.

Die Frage nach dem Sinn stellte sich nicht. Es gibt keine Legitimation dafür, Tod, Angst und Verderben zu verbreiten. Die Täter und die Opfer waren sich nie persönlich begegnet, wie ein Bomberpilot den Menschen nicht begegnet, über deren Köpfen er seine tödliche Fracht ablädt. Der Terror und der Krieg sind Brüder, keine Schwestern. Seit Urzeiten sind es die Frauen und die Kinder, die in kriegerischen Konflikten am meisten leiden. Und auch wenn angeblich eine Welt vor dem 11. September gab und eine danach: Es ging nach dem archaischen Muster weiter.

Die Antwort der USA und ihrer Verbündeteten war – ein Rachefeldzug gegen den globalen Terrorismus. Ein saudischer Mudschaheddin, den die CIA im afghanischen Befreiungskampf gegen die Sowjetunion unterstützt hatte, wurde zum meistgesuchten Verbrecher der Welt. Und Afghanistan zum Ziel. Der Krieg, der am 7. Oktober 2001 begann, hat mehr als 200.000 Todesopfer gefordert, darunter sehr viele Zivilistinnen und Zivilisten. Inzwischen ist er offiziell zu Ende, und die islamistischen Taliban sind gerade dabei, ein Terrorregime zu errichten. Ein Kalifat, in dem Frauen keine Rechte haben und sich in Burkhas hüllen müssen. Einen Gottesstaat, in dem die Scharia gilt. Ich muss an die Afghanin Shirin-Gol denken, deren Geschichte Siba Shakib in einem aufrüttelnden Buch erzählt hat: „Nach Afghanistan kommt Gott nur noch zum Weinen.“

Auch wir, die wir uns in Sicherheit wähnen, sollten Tränen vergießen. Über die Toten und mit den Überlebenden. Die Trauer über die Opfer aller Kriege lässt nur eine Form des Hasses zu: den Hass auf den Krieg selbst. Der Mensch lernt nicht wirklich aus seiner Geschichte, sagt man, und ich frage mich: Lernen wir denn aus der Gegenwart? Oder gehen wir möglichst schnell zum Alltag über und blicken erst nach Jahrzehnten zurück? Sind wir überhaupt noch fähig zu Mitgefühl und Solidarität? Das zumindest wäre meine Hoffnung. Machen wir uns klar, dass Ignoranz tötet. Was Frieden und Freiheit bedeuten. Wann immer wir uns abwenden und einfach weiterschlafen, als wäre nichts gewesen, machen wir uns mitschuldig an der Gewalt in dieser Welt. An Toten und Verletzten. Am Ende sind es die Menschenrechte, die wir zu Grabe tragen. Die der anderen. Und unsere eigenen.

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