Von Schdaddmussikaande und Stadtmusikanten

Es war und ist immer wieder… mittwochs Märchentag in meinem Blog Owenglie. Und jetzt nach einer kurzen, urlaubsbedingten Pause wieder. Wegen der Nachfrage nach den Manuskripten sind die Erzählungen außerdem seit Kurzem in zwei Taschenbüchern nachzulesen, und zwar sowohl im oberhessischen Original als auch in der hochdeutschen Übersetzung. Unser gemeinnütziger Geschichtsverein Lastoria hat auf je 248 Seiten Märchen und wahre Geschichten veröffentlicht, die seit 2023 hier im Blog zu hören sind: “Es woar èmo” und “Es war einmal”.

Guggema! Märchen und wahre Geschichten aus Hessen: das oberhessische Original in der Mundart und die Übersetzung.
Copyright: Lastoria e.V.

„Es war einmal eine Mundart, die war in Oberhessen deheem“, beginnt der Klappentext der Mundartfassung. „Irgendwann aber hörten die Leute auf, die Untertasse Bleedche und die Hakenleiste Krabbeläisd zu nennen. Immer weniger Eltern erzählten Kindern Geschichten, in denen ein Ruudkäbbche oder sewwe Roawe vorkamen.“ Beim Schreiben habe ich mich von den Grimms und Andersen inspirieren lassen, aber auch vom Oral-History-Projekt unseres Vereins, das 2020 mit der Auszeichnung „Vogelsberg Original“ bedacht worden ist, von aktuellen Ereignissen und Biografien.

All, die den Blog hie kenn, weasse nur sè gudd: Die erwachsenen-, jugend- und kindgerechten Geschichten sollen Lust auf den Dialekt machen und enthalten viel Wissenswertes über Hessen. Mal überwiegt der Ernst, häufiger aber der Humor, den wir gerade dann brauchen, wenn es ernst wird. Für mich war es nach den umfangreichen Recherchen der vergangenen zwölf Jahre und den zahlreichen Sachbüchern und Mundartliedern eine echte Abwechslung: Ich durfte meiner Fantasie freien Lauf lassen, auch musikalisch. On doas hodd Schbass gemoachd! Das gilt besonders für die Zusammenarbeit in unserem durchweg ehrenamtlichen Team: für die Buchgestaltung von Wolfgang Rulfs, Delmenhorst, die Mundartkorrekturen von Sabine Kirchner, Ober-Gleen, und die hochdeutschen von Justus Randt und Regina Dietzold, Bremen.

Geschrieben sind die Urfassungen im Owengliejer Pladd, der Mundart meines Heimatdorfes Ober-Gleen. Aber auch die hochdeutsche Übersetzung führt die Leserinnen und Leser quer durch den Vogelsberg und über Mittelhessen hinaus. Erwähnt werden unter anderem Ober-Gleen, Kirtorf, Arnshain, Wahlen, Maulbach, Appenrod, Dannenrod, Angenrod, Alsfeld, Lauterbach, Marburg, Gießen, Wetzlar, der Ebsdorfer Grund, Melsungen, Freienseen, Niederklein, Kassel, Rainrod, Wallenrod, Frankfurt am Main, Gladenbach, Diez an der Lahn und Darmstadt. Manche Orte, die ich nenne, haben einen Bezug zur Handlung, andere nicht. Ob sich jemand auf eine Geschichte einlässt, hängt ja nicht allein davon ab, wo sie spielt, aber es kann ein Anreiz sein. Nicht zu vergessen: In Hessen wird intensiv mit Märchen geworben. In vielen Ländern ein Welt sind sie ein wichtiges Stück der Erzählkultur, nicht zuletzt, weil sie Generationen verbinden. Und in hessischer Mundart werden selbst moderne Märchen urhessisch.

Einzelne Geschichten sind Zeitzeuginnen und Zeitzeugen aus den Projekten des Vereins gewidmet oder Menschen wie Kapitän Edmund Badenhausen aus Melsungen, Schmetterlingsfachmann Alfred Westenberger aus dem Taunus, Elsa Eislöffel aus Offenbach („Doas oarme Keand„/“Das arme Kind“), die in Hadamar ermordet wurde,  oder der Familie Roth aus Lauterbach („Ruuds Käddche on die Welf„/“Käthe Roth und die Wölfe“), die jüdischen Freunden und Bekannten in der Nazizeit geholfen hat. Das Märchen von einer, die sich fürchtete, dass das Wissen ausgehen könnte („Voo enner, die sech fiachde deed, desses Weasse ausgieh kennd„), ist zum 50. Geburtstag der Volkshochschule Vogelsberg entstanden. Auch die verhinderte Verkehrswende, die Natur, kulinarische Spezialitäten, traditionsreiche Berufe und Ortsuznamen, Krieg und Frieden, Liebe und Lügen, die Armut und die Sozialrevolution des 19. Jahrhunderts, Auswanderung und Einwanderung finden sich in den Märchen wieder. Und natürlich dürfen weder die Bremer Schdaddmussikaande noch die Bremer Stadtmusikanten fehlen.

Bebildert ist der Mundartband mit Fotos aus meinem Familienalbum, einem Porträt von Elfriede Roth aus Lauterbach und einem Foto von Elsa Eislöffel aus dem Archiv der Nieder-Ramstädter Diakonie. In der übersetzten Ausgabe sind sechs der nach der letzten Ausstellung in Oberhessen verschollenen Gemälde des aus Ober-Gleen stammenden Künstlers Bernhard Wald alias Faldon veröffentlicht. Es wäre ein kleines Wunder, wenn sie nach all den Jahren wieder auftauchten. Aber immerhin leben Märchen davon, dass Menschen trotz allem an das Gute glauben und auch in unwahrscheinlichen Fällen auf ein glückliches Ende hoffen. Das gilt nicht zuletzt auch für den Dialekt, weshalb der Klappentext des Originals mit den Worten endet: „Und wenn die Mundart noch nicht ausgestorben ist, dann lebt sie vielleicht auch noch morgen.“

Einen ehrenamtlichen Beitrag zum Erhalt des oberhessischen Dialektes leistet unser Geschichtsverein Lastoria seit 2012 mit Recherchen, Tonaufnahmen, Büchern, Online-Veröffentlichungen, vielfältigen Kooperationen und interaktiven Veranstaltungen.  Mittwochs ist weiterhin Märchentag im Blog mit neuen Geschichten off Pladd, die alle mit „Es woar èmo“ anfangen.

Kurzinfo:

Monika Felsing, „Es woar èmo, Oberhessische Mundartmärchen und wahre Geschichten“, 248 Seiten, 16 Euro, ISBN-13: 9783759713605, veröffentlicht bei Books on Demand (BoD) in Norderstedt, mit QR-Codes der Mundartaudios. „Es war einmal. Hessische Märchen und wahre Geschichten“, 248 Seiten, 16 Euro, ISBN-13: 9783759713490, veröffentlicht bei BoD, mit QR-Codes der Mundartaudios. Erhältlich sind die Bücher im örtlichen Buchhandel und beim Verlag. Die Honorare gehen an den Geschichtsverein Lastoria, Bremen.

 

 

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